Küste Norfolk Juli 1994
Das folgende Bild weckt Erinnerungen an eine von W.G. Sebald in "Die Ringe des Saturn" von 1997 geschilderte Beschreibung von Fischergruppen an Norfolks Küste nahe Lovestoft. Er schreibt da: 
"Drei bis vier Meilen südlich von Lovestoft verläuft die Küste in einem weiten, leicht landeinwärts geschwun­genen Bogen. Von dem Fußpfad, der dort über die Grasdünen und niedrigen Klippen führt, sieht man unterhalb den von flachen Kiesbänken durchzogenen Strand, auf dem, wie ich mich verschiedentlich schon vergewissern konnte, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht und zu jeder Zeit des Jahres allerlei zelt­artige Unterstände aus Stangen und Strickwerk, Segel­tuch und Ölzeug aufgeschlagen sind. In langer Reihe und ziemlich gleichmäßigem Abstand voneinander foIgen sie dem Saum des Meers. Es ist, als hätten die letzten Überreste eines wandernden Volkes sich hier, am äußersten Rand der Erde, niedergelassen in Erwartung des​​​​​​​
von allen von jeher ersehnten, sämtliche Ent­behrungen und Irrwege im nachhinein rechtfertigen­den Wunders. In Wirklichkeit freilich sind die unter dem offenen Himmel Lagernden nicht durch ferne Länder und Wüsten bis an dieses Ufer gekommen, sondern es handelt sich um Leute aus der engeren Umgegend, die nach alter Gewohnheit von ihren Angelplätzen aus hinausschauen auf die vor ihren Au­gen andauend sich verändernde See. Ihre Zahl bleibt seltsamerweise immer mehr oder weniger dieselbe. Für jeden, der sein Biwak abbricht, findet sich bald ein anderer ein, so daß die Gemeinschaft der die Tage ver­dösenden und die Nächte durchwachenden Fischer über Jahre hinweg, zumindest dem Anschein nach, sich nicht verändert, ja in dieser Form vermutlich weiter zurückreicht als die Erinnerung.  Nur selten soll es geschehen, daß einer der Fischer Kontakt auf­nimmt mit seinem Nebenmann, denn obgleich sie allesamt unverwandt nach Osten blicken und am Horizont die
Abenddämmerung und das Morgen­grauen aufsteigen sehen, und obgleich sie, wie ich glaube, dabei bewegt werden von denselben unbe­greiflichen Gefühlen, ist ein jeder von ihnen doch für sich ganz allein und hat Verlaß nur auf sich selber und auf seine paar wenigen Ausrüstungsgegenstände, auf das Federmesserchen beispielsweise, den Thermos­behälter oder das kleine Transistorradio, aus dem kaum hörbar ein scharrendes Geräusch dringt, so als redeten untereinander die mit den Wellen zurückrollenden Steine. Ich denke nicht, daß diese Männer tage und nächtelang am Meer sitzen, um, wie sie behaupten, die Stunde nicht zu versäumen, zu der die Witt­linge vorbeiziehen, die Flundern steigen oder der Kabeljau gegen die Küste schwimmt, sondern sie werden sich einfach aufhalten wollen an einem Ort, an dem sie die Welt hinter sich haben und voraus nichts mehr als Leere."
Kapitel III, Beginn
Küste Norfolk Juli 1994
Itteringham Juli 1994
Norfolk Juli 1994
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